Christine Hock
Christine
Hock, Sie sind Präsidentin des Vereines "Salz + Kunst". Weshalb
salzen Sie die Kunst?
Für das Salzen der Kunst fühle ich mich eigentlich nicht verantwortlich. Ist aus meiner Sicht auch gar nicht nötig, wenn ich die Vielfalt, Kreativität und Schönheit der Kunststücke auf unserer Plattform so ansehe. Für uns ist Kunst einfach das Salz des Lebens. Existieren kann man sicher ohne Kunst, aber leben? Lieber nicht. Klar brauchen wir jetzt kompetentes Pflegepersonal und freundliche Menschen, die Lebensmittel verkaufen. Aber wir brauchen eben auch Kunst. Wir brauchen etwas, das uns hoffen lässt; etwas, das uns ablenkt oder neue Perspektiven aufzeigt; etwas, das uns – völlig virenfrei – berühren, erreichen, verzaubern, verstören und/oder zum Denken anregen kann.
Was führte zur Gründung des Vereines?
Wir sind auf die Idee zu Salz + Kunst gekommen als wir gerade an einer App gearbeitet haben, die Wissenschaftler*innen mit der Öffentlichkeit verbinden soll. Dabei sollen Wissenschaftler*innen aller Disziplinen Fragen beantworten, die sich nicht googlen lassen; so könnten Expert*innen berührbar und Wissen begreiflich gemacht werden, wie wir hoffen. Anfang Dezember merkten wir, dass Künstler*innen so eine Verbindungsplattform gerade jetzt dringender brauchen könnten, da ihnen durch die Corona-Massnahmen so viele Auftrittsmöglichkeiten genommen sind. Nur wegen dieser Vorarbeiten konnten wir salzundkunst.ch überhaupt innerhalb von drei Wochen auf die Beine stellen und noch vor Weihnachten online gehen. Wichtig ist vielleicht auch: Salz + Kunst ist eine Publikumsinitiative, wir vermissen einfach, nicht mehr wie gewohnt ins Theater oder Konzert gehen zu können und wollen, dass es weiter geht für die Künstler*innen. Wir, das sind, neben mir selbst, übrigens: Corinna Virchow und Mario Kaiser, die beiden Gründer des Wissenskulturmagazins «Avenue» sowie Wenzel Orland, ein Softwareentwickler, und Julia Früh, die neben dem Studium eine Werbeagentur aufgebaut hat. Wir bringen Erfahrungen aus sehr unterschiedlichen Bereichen mit, aber kommen explizit nicht aus der Kunstszene.
Wer kann sich alles eine Sängerin oder einen Akrobaten in das Haus oder den
Garten holen?
Im Prinzip jede und jeder, der ein Kunststück über salzundkunst.ch ausgesucht
und erworben hat und über Zugang zu einem Haus oder Garten verfügt. Allerdings
werden ja nicht nur performative Kunstformen und nicht nur im Haus oder Garten
Auftritte angeboten. Grundsätzlich geht es darum, dass neue Auftritts- und
Zugangsmöglichkeiten zu Kunst geschaffen werden können. Wir machen nichts weiter,
als Künstler*innen und Kunstliebhaber*innen zusammenzubringen. Und das kann –
je nach Kunstform und Künstler*in – sehr unterschiedlich aussehen.
Welche Kunstschaffenden machen alles mit und was wird alles angeboten?
Tim Krohn liest aus seiner noch nicht erschienen Weihnachtsgeschichte «Wenn das Vieh spricht in der Christnacht» vor; Dill & Kraut machen ein online Konzert; Mesh ein trashiges Hörspielspektakel aus Filmklassikern; More Than Classic würde auch ein Date musikalisch untermalen; Don Lovis Cassaris bietet Liebesgedichte und -geschichten an; die Maulhelden bieten literarische Stadtführungen an; Alexander Müller spielt Cellosuiten von Bach; das Duo Andra Borlo und Carlos Ramirez singen eine Serenata; Sabine Haupt schreibt Texte nach Wunsch; Christian Ziegler fireart inszeniert ein Lichtspektakel vor dem Balkon; Jim fertigt wunderschöne Collagen von erfundenen Pilzen; Max Berend macht ein unplugged Storytelling-Konzert über Zoom; Sara Dürst fertigt individuelle Portraits; Gili macht eine Strassenbalkone Zirkusshow; Dani Felber spielt Trompete oder Flügelhorn im Garten; haustheater tragen eine schwäbische Ballade vor; Ute Sengebusch und Wolfram Schneider-Lastin lesen Geschichten vor; Schmieze macht Comicportraits deiner Katze und und und …
Es sind Schriftsteller*innen, Schauspieler*innen; Musiker*innen, Sänger*innen,
Jodler*innen, Komiker*innen, Feuerkünstler*innen, Dichter*innen, Maler*innen,
Graphiker*innen, Comiczeichner*innen, Streetartist*innen – einfach:
Künstler*innen.
Euer Motto ist auch "Gänsehaut und Lampenfieber". Es ist sicher
speziell, wenn eine bekannte Künstlerin plötzlich vor einem steht?
Ja, das ist sicher so. Von Künstler*innen, ganz besonders, wenn sie bekannt sind, geht eine bestimmte Aura aus. Wenn Kunst im kleineren, persönlicheren Rahmen stattfindet, bleibt die Aura bestehen, aber der Mensch und das Kunststück rücken in den Vordergrund: Denn die Künstlerin ist – trotz aller Bekanntheit – ein Mensch, der vielleicht ein Taschentuch braucht oder die Hausnummer nicht findet oder die Kamera bei Zoom erst mal richtig einstellen muss. Ich kann ihm in die Augen sehen, Fragen stellen und ins Gespräch kommen. Das schafft eine andere Nähe – zur Künstlerin, aber auch zur Kunst selbst. Jemand oder etwas wird zugänglich. Das finde ich eine sehr schöne Idee, die auch über Corona hinaus tragfähig bleiben wird.
Wie ist das für die Kunstschaffenden in fremden Wohnzimmern zu agieren?
Im Moment findet das meiste über Zoom, Telefon oder im Garten und nicht im
Wohnzimmer statt. Aber ja: Im Prinzip gehen nicht die Zuschauer*innen zu den
Künstler*innen, sondern umgekehrt. Das Öffentliche schwappt so ins Private und
das ist auch für Künstler*innen eine neue Erfahrung. Corinna Virchow und Mario
Kaiser, zwei meiner Kolleg*innen von Salz + Kunst, haben letzten Sonntag das
urbane Jodel-Duo «S’Echo vo dr Feldbergstroos» in ihren Garten eingeladen. Bei
den beiden Jodeleinlagen öffneten sich sofort die Fenster im Hinterhof, die
Nachbarn kamen auf die Balkone und wir alle – obwohl in der Kunst der Jodelns
völlig unbewandert – waren sofort gehobener Stimmung und dem Alltag entrissen.
Und die beiden Jodler, hatte ich den Eindruck, haben die spezielle Akustik und
das Publikum genossen.
Habt Ihr keine Angst vor weiteren Verschärfungen, die diese Idee begraben
würde?
Das ist das Bestechende an Salz + Kunst: Wir möchten den Künstler*innen ermöglichen, neue Bühnen zu suchen und zu bespielen. Und neue Bühnen können unter jeder Bedingung entstehen. Wenn nicht im Konzertsaal, dann eben im Wohnzimmer; wenn nicht im Wohnzimmer, dann eben im Garten; wenn nicht im Garten, dann eben über Zoom; wenn nicht über Zoom, dann eben übers Telefon; und so weiter.
Am letzten Freitag seid Ihr gestartet. Wie lief das erste Wochenende?
Es sind nun etwa 30 Künstler*innen auf der Plattform mit etwa 70 Kunststücken. 44 Kunststücke konnten übers Wochenende verkauft oder verschenkt werden. Bisher ohne Werbung. Wir sind zufrieden mit diesem Anfang und hoffen, dass das neue Jahr noch viel mehr Künstler*innen mit Kunstliebhabern zusammenbringt.
Hat schon jemand ein Gedicht per Whatssapp bestellt?
Oh ja, tatsächlich! Das ist ja auch ein wunderschönes und noch dazu sehr günstiges Geschenk. Aber auch die 10-minütige Lesung als Voicemessage und Lesungen wurden verschenkt und die bezaubernden erfunden Pilz-Collagen und andere Bilder wurden verkauft.
Salz + Kunst
Hinter dem Verein stehen neben der Präsidentin Christine Hock auch Corinna Virchow und Mario Kaiser vom Magazin für Wissenskultur Avenue (sie wurden bereits in einer früheren WW-Ausgabe porträtiert), Softwareentwickler Wenzel Orland und Werberin Julia Früh.